Lass uns den Streit begraben

Wir standen in der Schlange. Last minute. Nach Faro. Schnell und günstig. Raus aus dem deutschen Regensommer. An der Algarve sollte die Sonne scheinen.
35 Grad im Schatten.

Er stand vor mir.

Wie immer.

Und sein frisch geschnittenes, nachgefärbtes Haar glänzte heute besonders, weil er eigens noch zum Friseur gegangen war, damit auch keine einzige graue Strähne zu sehen wäre, denn man kann nie wissen. Sein Nacken war noch etwas gerötet vom Ausrasieren und roch leicht nach einem billigen After Shave. Aber die Portugiesinnen würde er damit wohl kaum beeindrucken können.

Gleichgültig schob ich unsere Koffer vor mir her.

Doch da sprach er auch schon die Frau, die vor ihm in der Schlange stand, an. Ob sie auch nach Faro fliege.

Nein. Sie warte hier auf den Bus. Ein amüsiertes Lächeln, und sie drehte sich wieder nach vorne.

Oh, wie gönnte ich ihm diese Abfuhr! Was musste er sich auch immer und überall an fremde Frauen herandrücken! Von wegen krankhafte Eifersucht meinerseits! Brünftig war er, wie ein Hirsch im Herbst! Allerdings hielt er sich nicht an Jahreszeiten.

Als die Koffer durchleuchtet wurden, pirschte er sich noch einmal an die Frau heran. Eine ziemlich imposante Erscheinung, zugegeben. Groß, stattlich, mit einer ansehnlichen Oberweite gesegnet, glatte, dunkle, halblange Haare im Pagenschnitt mit einer weißen Strähne in der Mitte, langer, schwarzer Regenmantel, schwarzes seidenes Halstuch, schwarze Lederhose und schwarze, bis über die Knie reichende Schaftstiefel. Alles in allem eine fast unheimliche, aber faszinierende Erscheinung. Und ich weiß, auf solche Frauen springt er besonders an.

„Oh, Sie haben aber ihren Koffer sehr ordentlich gepackt! Das sieht man ausgezeichnet in dem Bild der Durchleuchtungsmaschine. Sehen Sie?“ Und vertrauensvoll und intim zugleich legte er ihr dabei die

Hand auf den Unterarm. Ja hatte denn dieser krankhafte Schürzenjäger überhaupt kein Gefühl für Anstand!

Sie aber sah zuerst etwas vorwurfsvoll auf seine Hand auf ihrem Arm und dann in sein Gesicht, lächelte verzeihend und meinte nur, dann sei es ja gut, dann brauche er ihr auch beim nächsten Mal nicht zu helfen.

Beim Packen.

Und damit drehte sie sich von ihm weg und ging zum nächsten frei werdenden Schalter.

Es blieb mir keine Zeit, mich über seine Abfuhr zu freuen, denn er flüsterte wild und aufgeregt auf mich ein, ob ich denn das gehört hätte. So eine unhöfliche Kuh! Dabei habe er ihr mit seinem Kommunikationsangebot doch nur eine Freude machen wollen. Wenn sie schon das Unglück habe, alleine reisen zu müssen.

Ich nickte eifrig, beneidete jedoch die schwarze Walküre um ihr Unglück. Dann wurden wir an den Schalter gerufen, und ich schämte mich wieder einmal in Grund und Boden, als die junge Dame fragte: „Eva und Adam Rippenfeller?“ und er wie schon zigmal zuvor antwortete, wobei er mich abschätzig fixierte: „Ja, Sie haben Recht, vielleicht war es ein Fehler, dass ich die Rippe dafür hergegeben habe.“

Ein pflichtschuldiges Lächeln, dann erhielt er den gewünschten Gangplatz, den er besonders schätzte, weil ihn da die vorbei eilenden Stewardessen häufig streiften.

Der Flug verlief aber glatt, ich musste mich nicht ärgern, denn es gab keine Stewardess, die er hätte beflirten können, nur einen offensichtlich schwulen Steward. Auch auf dem Transfer zum Hotel ergaben sich keine besonderen Vorkommnisse, denn die Fahrerin hatte im Verkehrsgewühl alle Hände voll zu tun und beachtete ihn folglich nicht.

Und die erste Nacht brachte ich hinter mich.

Pflichtbewusst und hingabebereit bis zum äußersten.

Und er erwachte durchaus befriedigt.

Gleich nach einem reichlichen Frühstücksbuffet übergab man uns den bestellten Mietwagen, und wir fuhren an den Strand, um das Meer zu

begrüßen und ein wenig daran entlang zu laufen. Natürlich musste ich fahren, wie immer, denn der Herr schätzte im Urlaub eine Chauffeuse.

Auf dem Rückweg gingen wir in ein Strandcafé auf einen Espresso, den sie hier „Café italiano“ nennen. Wir hatten uns kaum gesetzt, da deutete er aufgeregt gestikulierend nach hinten in den Schatten.

Und da saß doch tatsächlich die dunkle Schönheit, die er in Frankfurt so erfolglos angebaggert hatte. Sie registrierte ihre Umwelt offensichtlich nicht, denn sie hatte eine Lesebrille auf und schrieb konzentriert in ein großes Ringbuch. Von Zeit zu Zeit nahm sie einen Schluck aus einem vor ihr stehenden Glas Portwein und ließ den Blick über das Meer schweifen.

Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl herum, bis er es schließlich nicht mehr aushielt, aufstand, zu ihr an den Tisch trat und sie auf Deutsch begrüßte.

Irritiert sah sie auf, und dem ratlosen Blick ihrer nachtschwarzen Augen konnte man entnehmen, dass sie ihn nicht wiedererkannte oder ihn zumindest nicht einzuordnen wusste. Er aber sprudelte glücklich, „Na, Sie wissen doch sicher noch! In Frankfurt, erinnern Sie sich nicht? Am Flughafen! Als wir in der Schlange vor den Schaltern standen. Ihr ordentlich gepackter Koffer!“, setzte sich unaufgefordert zu ihr, bedachte sie mit einem strahlenden Lächeln und redete wasserfallartig auf sie ein, die Hand schon wieder auf ihrem – dieses Mal nackten – Unterarm.

Ich kochte vor Wut.

Zumal die schwarze Dame im Schatten nun nicht mehr so abweisend wirkte, wohl in Anbetracht seines fitnessgestählten Körpers, der männlich behaarten Brust und der muskulösen Beine, die er ihr ungeniert darbot. Und als er im weiteren Verlauf seine Hand von ihrem Unterarm auf ihren Schenkel sinken ließ, erblühte sogar ein wohlwollendes Lächeln hinter ihrer intellektuellen Lesebrille, und sie antwortete anscheinend bereitwillig auf seine Fragen und lachte herzlich über seine Bemerkungen, die ich nicht verstehen konnte.

Als er mit dem Kopf eine abfällige Bewegung in meine Richtung machte, sprang ich auf.

Es musste etwas geschehen – und zwar sofort, wollte ich mich nicht in aller öffentlichkeit weiter lächerlich machen lassen. Ich ging zu ihnen, bedachte ihn mit einem strafenden, sie mit einem verachtenden Blick, packte ihn am Arm und zog ihn mit mir fort, so laut und heftig er auch protestierte und seinen Arm zu befreien suchte. Dann schob ich ihn vor mir her bis zum Auto, verfrachtete ihn auf den Beifahrersitz und schlug die Tür hinter ihm zu. Als ich mich zu ihm setzte, empfing er mich mit einem Schwall von Vorwürfen und Beleidigungen des Grundtenors, dass ich krankhaft eifersüchtig und verhaltensgestört sei.

Ich schwieg.

Und fuhr zum Hotel.

Betont langsam.

Denn nun gehörte er wieder mir.

Am Nachmittag meinte er: „Ach komm, lass uns den Streit begraben!“, zog seinen knappesten Tanga an und ignorierte meine vorwurfsvollen Blicke. Aber am Strand hielt er vergeblich den ganzen Nachmittag nach ihr Ausschau, offensichtlich hielt sie nicht viel vom Schwimmen. So war er leicht gereizt, als wir ins Hotel zurückfuhren.

Beim Abendessen wirkte er abwesend und zerstreut, aß kaum etwas. Als wir zu Bett gingen und ich meine Bereitschaft signalisierte, meinen Urlaubsverpflichtungen nachzukommen, schob er mich völlig unerwartet auf meine Bettseite zurück.

Und ich sah seine Augen im Dunkeln glänzen, als er murmelte: „Weißt Du, sie ist Schriftstellerin. Sie schreibt Kriminalgeschichten.“

Also, das durfte doch ganz einfach nicht wahr sein! Mit mir im Bett, denkt an eine andere und erzählt mir das auch noch! Die er kaum kennt. Wutentbrannt und beleidigt drehte ich mich auf meine Seite und tat, als ob ich sofort einschliefe.

Aber ich lag noch lange wach. Und schmerzhaft bohrte die Eifersucht in mir. Irgendwann gegen Morgen schlummerte ich dann endlich ein.

Und erwachte von einem durchdringend rauchigen und ledrigen Duft von Waschparfum, mit dem er seinen nackten Körper vor dem Spiegel besprengte.

Wir gingen zum Frühstück, er duftend wie ein rauchender Ledersack in weißer Leinenhose und weißem Hemdchen, ich in einem modischen Strandkleidchen, nur ein dezentes aber anspruchsvolles Eau de Toilette verströmend.

Er frühstückte nur wenig, wohl deshalb, damit es an seinem Waschbrettbauch nicht so auftrug, und dann gingen wir nach oben, um uns strandfertig zu machen.

Er zog wieder den knappesten aller Tangas an, hängte sich ein Nichts von einem Netzshirt über und meinte mit unschuldiger Miene: „Na, was ist? Gehen wir wieder am Strand spazieren und dann einen Café italiano trinken?“

Na warte, Du Mistkerl!

Das versalze ich Dir!

Und als wir ans Auto kamen, sprang es einfach nicht an. Was für ein Zufall! Mochte er doch laufen, wenn er es so dringend nötig hatte, seine Schriftstellerin zu treffen!

Doch er zuckte nur völlig unbeeindruckt mit den Schultern, meinte, ich würde mich dann ja wohl um das Auto kümmern und stieg kommentarlos in eines der Taxis vor dem Hotel. Sofort ließ ich den Motor an und fuhr ihm in sicherer Distanz hinterher, so dass er mich nicht sah.

Als er am Strand ausstieg und direkt zum Café lief, parkte ich das Auto und folgte ihm ungesehen durch die Dünen. Und ich hatte richtig vermutet. Zielstrebig ging er auf die schwarze Schönheit zu, die wieder hinten im Schatten saß und schrieb. Lächelnd setzte er sich neben sie.

Und dieses Mal legte er die Hand ohne Umweg sofort auf ihren Oberschenkel.

Ich schlich mich von hinten an das Café heran und fand auch gleich eine Stelle, von der aus ich durch ein Astloch in der Bretterwand, die den Raum nach hinten abschloss, die beiden hervorragend beobachten konnte.

Während er auf sie einredete, drückte seine Hand immer wieder fordernd ihren Schenkel und bewegte sich Stück für Stück immer höher.

Und sie lächelte ihn an.

Freundlich und entgegenkommend.

Und, obwohl mir klar war, dass ich eigentlich genug gesehen hatte, blieb ich noch weiter gebannt an meinem Guckloch hängen. Wie in romantische Gedanken versunken sah sie ihn gerade an, strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fragte ihn dann etwas. Und ich sah, wie er errötete, den Blick senkte, ihn dann aber wieder hob, ihr in die Augen blickte und nickte. Da strich ihre Hand seinen Hals entlang nach unten, streifte seine Brust und legte sich auf seinen Oberschenkel. Und sie nahm ihr schwarzes, seidenes Halstuch ab, legte es ihm sanft um und biss ihn lustvoll ins Ohrläppchen. Dann nickte sie ihm vielsagend zu, und ihre Lippen formten „Bis heute nacht!“ Dann stand sie auf, nahm ihren Schreibblock und verließ das Café.

Mein Mund war trocken, mein Herz hämmerte, so dass ich meinte, es würde zerspringen. Nein. Nie würde ich das zulassen!

Lieber würde ich ihn töten.

Vielleicht beide?

Als ich sah, wie auch er sich erhob, rannte ich schnell zum Auto und fuhr zurück zum Hotel, um noch vor ihm dort anzukommen. In meinem Kopf überschlugen sich die Bilder. Pistole! Gift! Erwürgen! Aber ich saß immer noch ratlos auf der Bettkante, als er mit einem fröhlichen „Da bin ich wieder!“ ins Zimmer schwebte. Da machte ich gute Miene zum offensichtlich bösen Spiel und schalt mich insgeheim einen bodenlosen Feigling.

Am Nachmittag fuhr ich mit ihm wie gewohnt zum Strand, denn das Auto sprang ja nun wieder an. Er saß neben mir, und um den Hals trug er ein schwarzes seidenes Halstuch, nach dessen Herkunft ich ihn nicht fragte.

Nun war es einer jener besonders heißen Tage an der Algarve, wenn der Wind von Afrikas Wüsten herüberweht, und die schützenden, schattigen Grotten am Strand waren alle belegt. So zogen wir uns in einen Einschnitt zwischen den Felsen zurück, der von außen nicht einzusehen war. Ich wusste allerdings, dass wir nur eine kleine Weile bleiben konnten, weil die Flut bald steigen und unseren Platz überschwemmen würde.

Und als er pausenlos wegen der unausstehlichen Hitze stöhnte und jammerte, nahm ich ihm fürsorglich sein schwarzes seidenes Halstuch ab und fächelte ihm damit kühlende Luft zu.

Dann kam mir eine Idee, und ich machte ihm einen Vorschlag. Ich wollte ihm helfen, sich in den noch feuchten Sand einzugraben, der sicherlich phantastisch kühlen würde. Zunächst schaute er etwas verblüfft, aber dann nickte er eifrig und band sich sein schwarzes seidenes Halstuch wieder um.

„Natürlich! Verdunstungskälte! Los mach’ schon! Grab’ mir ein Loch!“

Und ich grub.

Ich schaufelte mit meinen bloßen Händen eine Mulde in den feuchten Sand, einen guten halben Meter tief, seinen Körperformen angepasst. Erwartungsvoll legte er sich hinein und forderte mich auf, ihn zuzuschütten, nur mit feuchtem Sand.

Und ich tat wie mir geheißen.

Mit stillem Genuss.

Bis nur noch sein Kopf herausschaute.

Und das schwarze seidene Halstuch. Dann trat ich den Sand über seinem Leib mit den Füßen fest, so dass er sich nicht mehr bewegen konnte und setzte mich schließlich auf seinen Körper, der unter dem gelben Sand der Algarve verborgen lag.

Und ganz sanft nahm ich ihm nun das schwarze seidene Halstuch ab, rollte es zu einem Knebel zusammen und steckte es ihm in den vor Entsetzen weit aufgerissenen Mund. Als er endlich merkte, was mit ihm geschah und um Hilfe rufen wollte, war es zu spät.

Nun strich ich ihm wie in romantische Gedanken versunken eine Haarsträhne aus dem Gesicht, streichelte an seinem Hals entlang und sagte:

„Nein.

Du wirst nicht mit ihr schlafen.

Nicht heute und auch nicht später.“

Und um seine weit aufgerissenen Augen nicht mehr ertragen zu müssen, nahm ich meinen Strohhut und bedeckte damit seinen Kopf, so dass es aussah, als habe jemand den Hut im Sand liegen gelassen.

Bald umspielte die ansteigende Flut meine Füße, und der Einschnitt zwischen den Felsen begann sich allmählich mit Meerwasser zu füllen.

Stumm nahm ich Abschied von meinem Hut.

Am nächsten Morgen gab ich eine Vermisstenmeldung auf, mein Mann sei von einem abendlichen Ausflug an den Strand, den er mit irgendeiner, mir unbekannten Schriftstellerin unternommen habe, nicht zurückgekehrt, und man versprach, sich darum zu kümmern. Obwohl, es sei nicht so unüblich, und es seien hier schon einige Ehemänner nach Abenden mit anderen Frauen verschwunden.

Wie die Schriftstellerin heiße?

Und in welchem Hotel sie wohne?

Ich hatte keine Ahnung.

Dann ging ich in das Strandcafé und bestellte mir einen Café italiano. Aus dem Schatten im Hintergrund trat die schwarze Walküre hervor, kam zu mir und erkundigte sich angelegentlich: „Entschuldigen Sie, wenn ich Sie belästige, aber wo ist Adam?“

„Oh, den habe ich gestern am Strand im Sand vergraben. Weil er so ein schlimmer Weiberheld war und immer allen Röcken hinterher rannte. Sie wissen ja, wie das ist.“

Und pflichtschuldig lachte die weiße Strähne auf dem schwarzen Pagenkopf über meinen gelungenen Scherz und empfahl sich.

In diesem Augenblick

trieb das Meer meinen Strohhut an den Strand.