Grand mit Vieren

Karo

Es war einer jener Abende. An denen sie keiner stören durfte, der nur ihnen gehörte. Dem Apotheker, dem Pfarrer, dem Lehrer und dem Doktor. Denn sie spielten Skat. Ein Spiel für Männer, die im Leben etwas erreicht haben.

An jenem Abend spielten sie im Hause des Doktors, in dem kleinen Bauernstübchen im Kellergeschoss neben dem Tischtennisraum und dem Schwimmbad, denn von dort aus störte ihr lautes Gehabe die Frau Doktor nicht bei ihrem abendlichen Fernsehprogramm.

Sie spielten schon seit Jahren jeden Montagabend, das war ein heiliges Ritual, und kein Termin konnte so dringend sein, dass einer von ihnen abgesagt hätte. Und sie spielten stets zu Viert, der Geber setzte beim Spielen aus und kümmerte sich gegebenenfalls um das leibliche Wohl, allerdings nur um das flüssige. Essen hielten sie für Zeitverschwendung.

Der Apotheker hatte dieses Mal eine Flasche Kartoffelschnaps mitgebracht, die er im Odenwald direkt bei einer kleinen Brennerei erstanden hatte und von dem er in den höchsten Tönen schwärmte, weil er so naturrein sei. Seine Lobreden gingen allerdings dem Doktor so auf die Nerven, dass dieser seinerseits steif und fest behauptete, so ein billiger Fusel mache blind und sich weigerte davon zu trinken. Was der Apotheker zum Anlass nahm, selbst kräftiger zuzulangen.

Null

Die Kinder der vierten Klasse stürmen am Morgen in ihr Klassenzimmer und bleiben wie angewurzelt stehen. Auf dem Pult liegt ihr Lehrer. Nackt. Blutüberströmt. Der Körper übersäht mit roten Striemen. Die Augen starr zur Decke gerichtet. Entsetzt aufgerissen. Zu Tode geprügelt mit einer Lederpeitsche. Die in einem blutigen Flecken auf dem Boden liegt. In seinen gefalteten Händen hält er eine Kartoffel.

Herz

Sie spielten gewagt an jenem Abend, aus unerfindlichen Gründen – vielleicht war es ja doch der Kartoffelschnaps – riskierten sie mehr als sonst. Und der Apotheker verlor ständig und schimpfte dafür umso lauter, auf das Kartenglück, das wie eine untreue Frau sei, und zum Ausgleich trank er ein Stamperl nach dem anderen von seinem hoch gelobten Kartoffelschnaps. Der Doktor dagegen lästerte weiter über den billigen Fusel, weigerte sich mitzutrinken, weil man davon blind werden könne, und auch die anderen beiden stimmten bald ein, tranken nicht mehr mit, lachten aber laut über die Bemerkungen des Doktors. Der Apotheker wurde mit der Zeit ernsthaft böse, versuchte sein Kartenglück zu zwingen, verlor noch höher und trank dafür immer schneller.

Null Hand

Die Gläubigen, die zur Frühmesse die Kirche betreten, sehen erschüttert ihren Pfarrer auf den Altarstufen liegen. Sein Gesicht ist blau angelaufen, rötlich weißer Schaum steht ihm vor dem Mund. Die Augen glasig und gebrochen. Neben ihm auf dem Boden liegt ein goldener Kelch, aus dem noch ein paar Tropfen Messwein geflossen sind. Die Hände hat er über der Brust gefaltet, und sie halten eine Kartoffel umschlossen.

Pik

Die Schimpfkanonaden des Apothekers wurden langsam undeutlicher, er spielte noch schlechter und verlor bald auch an sich sichere Spiele. Die Flasche Kartoffelschnaps hatte nur noch einen kläglichen Rest, und die Lästereien des Doktors und der anderen hatten nun auch schon den Zweck, den Apotheker so wütend zu machen, dass er nicht einschlief.

Doch, als er wieder einmal als Geber aussetzen musste, sank sein Kopf langsam nach vorne auf seine verschränkten Arme auf den Tisch, und er schlief ein. Tief und fest. Und als man versuchte ihn vorsichtig wach zu rütteln, reagierte er nicht mehr.

Da überzog ein breites, gemeines Grinsen das Gesicht des Doktors. Mit verschwörerisch erhobenem Finger stand er auf, ließ die Jalousie am einzigen Fenster herunter und schloss die Türe. Anschließend stellte er dem Lehrer und dem Pfarrer seinen Plan vor und sagte ihnen genau, wie sie sich verhalten sollten. Dann löschte er das Licht, so dass der Raum stockdunkel war.

Null Ouvert

Die Sprechstundenhilfe betritt den Behandlungsraum, und ihr durchdringender Schrei ruft das gesamte Personal herbei. Der Doktor liegt in seinem Chefsessel hinter dem Schreibtisch. Seine starren Augen blicken ins Leere. Der rechte Hemdsärmel ist hochgekrempelt, um den Oberarm liegt eine Staubinde, in der Vene steckt eine große Spritze. Die linke Hand liegt auf dem Tisch und hält ein halb geleertes Schnapsgläschen. Daneben steht eine leere Flasche. Kartoffelschnaps. Aus dem Odenwald.

Kreuz

Dann rempelte der Doktor den Apotheker unsanft in die Seite, dass dieser erschrocken aufschrie. "Ja, vielleicht nimmst Du bald deine Karten auf und sagst etwas! Wir wollen schließlich weiterspielen."

"Wie..., wieso habt ihr das Licht ausgemacht? Ich sehe ja gar nichts."

"Erzähl keinen Blödsinn! Warum sollten wir zum Kartenspielen das Licht ausmachen. Da sieht man doch nichts. Nun nimm schon auf und sag etwas. Ich habe achtzehn."

"Aber, aber, es ist doch stockfinster. Nun macht doch das Licht schon wieder an. Bitte!"

"Du willst uns wohl auf den Arm nehmen, Du besoffener Kerl. Jetzt stell Dich nicht so an! Wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier. Achtzehn habe ich gesagt."

Eine Weile war es totenstill. Dann ein leises, zitterndes Stimmchen: "Ich bin blind. Mein Gott! Es ist alles so dunkel." Dann lauter, in hysterisches Schreien übergehend: "Ich bin blind! Hilfe! Doktor, hilf mir! Ich bin blind!"

"Du blöder Sack! Ich habe Dir doch gesagt, dass man von dem Fusel blind werden kann. Warum hast du auch nicht auf mich gehört!"

Und das laute Schreien ging in leises Wimmern über, immer wieder die gleichen Worte flüsternd: "Ich bin blind. Ich bin blind. Ich bin blind."

Bis es den Pfarrer erbarmte.

Der aufstand und das Licht wieder anschaltete.

Das tränenüberströmte Gesicht des Apothekers wurde gnadenlos beleuchtet. Erkennen überzog es, zeigte ungläubiges Staunen, wurde dann aber schnell hart und die Augen funkelten so abgrundtief böse, dass es die Anwesenden gegraust hätte, wären sie nicht mit ihrem brüllenden Gelächter der Schadenfreude so sehr beschäftigt gewesen.

Langsam stand er auf. Sah mit zusammengebissenen Zähnen seinen Skatbrüdern einem nach dem anderen in die Augen und nickte still. Dann drehte er sich um und ging zur Tür. Dort wandte er noch einmal seinen Kopf.

"Was für eine bodenlose Blamage, die ihr mir zugefügt habt. Ich glaube, so eine Bloßstellung kann man wohl nicht überleben."