Eine gute Ausrede

Die weiße Maus stellt sich tot. Die Korallenschlange fixiert sie, züngelt fein. Dann schlägt sie zu. Giftzähne bohren sich in den kleinen Körper, ein schrilles Quieken, ein paar Zuckungen, dann liegt die Beute still.
Der hellrot schwarz gestreifte Leib der Schlange windet sich um das Opfer, das Maul öffnet sich weit, packt die Maus am Kopf. Langsam und bedächtig beginnt sie, ihre Mahlzeit zu verschlingen.
Bettina erhebt sich, geht in die Küche und schenkt sich ein Glas Prosecco ein. Sie zittert leicht, denn die Macht des Giftes und die schlanke Kraft des Schlangenkörpers erregen sie heftig.
Wenn er doch schon da wäre!
Sie wäre bereit für ihn.
*
Ihre vollen Brüste drücken sich weich an seinen Hinterkopf, ihre Hände streicheln seine Wangen, wandern am Hals entlang tiefer, gleiten über seine Brust, nähern sich seinem Gürtel.
"Bist Du sicher, dass Du heute ganz pünktlich das Büro verlassen musst?"
"Versteh’ doch, sie wartet. Will mit mir feiern. Ich habe es versprochen."
"Und wenn Du Dir eine gute Ausrede einfallen lassen könntest? Ich würde Dich auch verwöhnen."
Sie schnurrt in sein Ohr, beißt in seinen Hals, ihre Hände werden fordernder, dringen ein.
*
Zwei Stunden später rast Michael in seinem silbernen Rover über die Landstraße nach Hause. Alleebäume huschen vorbei wie Schemen.
Was soll er ihr nur sagen? überstunden, weil noch etwas Wichtiges zu erledigen gewesen sei? Wird sie nicht glauben.
Sie ist ziemlich misstrauisch in letzter Zeit.
Weil es zu häufig vorkommt.
Neben der Straße grast eine große Schafherde, bestimmt zweihundert Stück. Schäferhunde umschwärmen sie und treiben die Tiere auf ein Gatter zu.
Das ist eine glänzende Idee.
Das wird sie glauben.
Sie mag Schafe.
*
Die Reifen quietschen, als er vor dem Haus hält. Sie steht in der Türe, die Arme vor der Brust verschränkt, strafender Blick.
"Liebling, Du wirst es nicht glauben, aber ich stand auf der Landstraße über eine Stunde lang eingekeilt in eine Schafherde und konnte einfach nicht weiterfahren. Der Schäfer hat nur mit den Schultern gezuckt. Waren bestimmt zweihundert Tiere. Haben mich durch das Autofenster angestarrt und geblökt. Ein Höllenlärm, das kann ich Dir sagen. Man meint, man wird taub davon. Aber nun bin ich ja bei dir."
Sein verführerisches Lächeln, der Rosenstrauß, ein zarter Kuss. Und sie wird weich, öffnet die Blockade ihrer Arme, zieht ihn an sich, bereit zu vergeben.
Da stutzt sie. Ist da nicht der Hauch eines fremden Parfüms? Ein feiner Moschusduft? Aber seine Hände, die ihren Rücken und Hals streicheln, lenken sie ab. Begehrend drückt sie sich an ihn.
Sie hat den Tisch gedeckt. Mehrere kleine Vorspeisen, Tapas, dazu ein Syrah Frizzante, eine Rarität aus dem Südosten Australiens.
Blutrot, mit einem erregenden Bouquet.
Ein passender Aperitif für das Folgende.
Sie setzen sich. Dabei fällt ihr Blick auf seine Hose. Was ist das für ein Fleck im Schritt? Weißlich. Sieht frisch aus. Ekelerregend! Völlig eindeutig.
Sie versteift sich erneut. Also doch! Sie hat es ja gewusst. Sie entschuldigt sich, steht auf, geht hinaus, begibt sich in den Flur, zur Garderobe, durchsucht sein Sakko.
Und wird fündig.
Ein schwarzer Slip. Tanga.
Wie kann er nur so dumm sein! Oder hat ihn diese Schlampe vielleicht heimlich in seine Tasche geschmuggelt? Damit sie, die Ehefrau, ihn findet? Und ihn hinauswirft? Damit sie ihn dann endlich ganz für sich alleine haben kann? Nein, keine andere soll diesen Mann haben!
"Liebling, ich bin gleich wieder bei dir. Ich möchte nur schnell das Geschenk für dich holen. Fang doch schon mal an!"
Sie eilt in ihr Zimmer, in dem das Terrarium steht, greift die Schlange vorsichtig hinter dem Kopf, sieht ihr in die Augen.
"Du musst eine Kleinigkeit für mich tun, meine Beste."
Die Korallenschlange züngelt.
Bettina schiebt sie vorsichtig in die Sakkotasche, in der das Höschen ist, und zieht schnell ihre Hand zurück.
Er sieht von seinem Vorspeisenteller auf, in freudiger Erwartung.
Sie stellt sich hinter ihn.
Ihre vollen Brüste drücken sich weich an seinen Hinterkopf, ihre Hände streicheln seine Wangen, wandern am Hals entlang tiefer, gleiten über seine Brust, nähern sich seinem Gürtel.
Ja, der Fleck ist absolut eindeutig.
"Liebling, ich habe Dein Geschenk versteckt. Du musst es suchen gehen. Kleiner Tipp: Du hast ein sehr schönes Sakko."
Er steht auf, küsst sie flüchtig, geht zur Garderobe. Kurz ist es still, dann sein Schrei.
Leichenblass steht er vor ihr. Hält die Hand vorwurfsvoll empor. An seinem Daumen zwei Blutstropfen. Rot. Wie der Syrah Frizzante.
"Du willst mich umbringen!"
"Weil du es verdienst. Du hast mich betrogen. Und ich habe dir geschworen, dass ich dich dafür töten werde. Hast du das vergessen?"
Wortlos dreht er sich um, rennt aus dem Haus, springt in seinen silbernen Rover, fährt mit quietschenden Reifen los. Im Krankenhaus in der Stadt werden sie Serum haben.
Alleebäume huschen vorbei wie Schemen.
Doch da muss er scharf bremsen.
Die Landstraße ist blockiert.
Der Schäfer treibt seine Herde in aller Ruhe vor sich her.

Veröffentlicht in:
Männer morden sanfter, Sonderpunkt Verlag, 2011